P o d s o s n o w o. Unsere ehemalige Heimat (von Heinrich Hagelgans in Laudenbach)
Was Heimat bedeutet wissen wir Russlanddeutsche nur
zu gut, denn das ist etwas, was wir begreifen und schätzen könnnen, was wir
allerdings nicht haben. In Russland waren wir D e t s c h e, in Deutschland
sind wir R u s s e n. Hier und dort sind wir fremd, mit drei Worten: "Volk
ohne Heimat".
Am Ende des 19. Jahrhundert nahm die Auswanderung
vom europäischen Teil Russlands nach Sibirien stark zu. Auch Bauern von den
deutschen Kolonien des Wolgagebiets waren auf der Suche nach freiem Land und so
entschieden sich einige für Amerika, andere für Sibirien. Aber diejenigen, die
sich für Sibirien entschieden hatten, wussten damals nicht, welches Elend und
welche Verfolgung sie und ihre Nachkommen erleiden würden.
Die Geschichte
des Dorfes Podsosnowo.
Das Dorf
Podsosnowo befindet sich in Westsibirien, im Gebiet Altai, und wurde von
deutschen Kolonisten aus dem Wolgagebiet gegründet. Im Frühling, Anfang März
1892, bereiteten sich 4 Bauernfamilien vor. Es waren die Familien: Konrad
Hagelgans aus dem Dorf Kutter (Popowka) und sein Bruder Heinrich, Peter Kaiser
aus dein Dorf Balzer und Heinrich Heimbuch aus dem Dorf Dönnhof
Zum Folgenden verweise ich auf den Bericht von Jakob
Kunkel, angehangen an Heinrich Hagelgans
* 1851 in Kutter
Nach langer schwerer Reise kamen die 4 Familien an
ihr Ziel. Sie standen vor einem kleinem Kiefernwald. "Hier könnt ihr euch
niederlassen " , sagte ihr Begleiter, ein russische Beamter, von der Stadt
Pawlodar.
Nach gründlicher Besichtigung der Gegend,
entschieden sie sich für eine Stelle am östlichen Rand des Kiefernwaldes. Daher
bekam die erste Siedlung ihren russische Name "Podsosnowo", auf
Deutsch heißt es "Unter der Kiefer".
Da man in der unbesiedelten Steppe nichts erwerben
konnte, weder landwirtschaftliche Geräte, noch Haustiere oder
Wohnungseinrichtungen, wurde alles von
den deutschen Bauern mitgebracht. So kamen die vier Bauernfamilien im Juni 1892
in die Kulundasteppe. Die ersten Ansiedler erzählten ihren Kindern, das Gras in
der Steppe wuchs bis zu 1 Meter hoch und die Räder der Ladewagen waren rot von
überfahrenen Erdbeeren.
Um den ersten Winter zu überstehen wurden Erdhütten
gebaut und gleichzeitig wurde das unberührte Land geackert und vorbereitet für
die nächste Saat. In den folgenden Jahren kamen immer wieder neue Familien aus
deutschen Kolonien des Wolgagebietes.
Um 1908 wurde das ganze Dorf, das offiziell erst
1894 als Dorf anerkannt worden war. wegen ständiger Frühjahrsüberschwemmungen
umgesiedelt an den Rand des Birkenwaldes, 2 km westlich des alten Dorfes.
Am neuen Siedlungsplatz wurden 5 Gassen für 400
Bauernhöfe angelegt und durch Lose verteilt. Für jeden Hof war eine Fläche von
4000 qm geplant Im Jahre 1920 waren schon über 300 Bauplätze besiedelt. Die
Häuser waren mit Ziegeln aus gemischtem Lehm und Stroh und Holz gebaut. Die
meisten der Bewohner des Dorfes erreichten durch ihre schwere Arbeit Wohlstand.
Sie machten aus wilder Steppe fruchtbares Land. Sie säten Getreide, pflanzten
Gemüse und züchteten Vieh wie Pferde, Kühe und Schafe. Alle hatten genug zu
essen und zu trinken. Den Überschuss verkauften sie in der Stadt und damit
bezahlten die Bauern ihre Steuern und erwarben notwendige Waren. Nicht
vergessen soll man, dass die Kosten für das Land jeder Bauer in den folgenden
49 Jahren zahlen sollte.
Von 1910-1912 Jahre wurden in Podsosnowo 3 Gasthöfe,
ein Laden, 2 Ölmühlen, 2 Windmühlen, Kirche und eine Schule für die Kinder
gebaut. Es wohnten im Dorf viele Fachleute wie: Handwerker, Schuhmacher,
Schmiede und andere. Seit 1924 wurde in Podsosnowo ein Amtsbezirk eingerichtet.
Das Leben im Dorf verbesserte sich weiter. Die Kinder lernten in der Schule
ihre deutsche Muttersprache, deutsche Geschichte und Bräuche. Aber das Glück
für das Volk im Sibirien dauerte nicht lang. Der erste Weltkrieg begann in der
Erntezeit, als die Bauern draußen auf den Feldern bis in die Nacht arbeiteten.
Im Oktober 1914 Jahre erklärte die russische
Regierung den Wehrdienst für alle deutschen Dörfer. Das hieß, dass der ganze
Besitz wie Pferde, Vieh, Getreide registriert wurden und als strategische
Reserve für die russische Armee festgelegt wurden. Es war verboten, dieses
Eigentum aus dem Dorf herauszubringen oder zu verkaufen. Es wurde auch die deutsche
Sprache verboten und sie in öffentlichen Einrichtungen zu benutzen. Von
November 1914 Jahr wurden deutsche Männer in den Krieg eingezogen, um Russland
zu verteidigen.
Es begann eine in die Länge gezogene Tragödie. Es
wurde ein Teil der deutschen Männer gegen die Türkische Festung Erzerum
eingesetzt und ließ dort die Deutsche verbluten. Der andere Teil wurden in
sogenannte Arbeitsbatallione geschickt, wo sie im Rücken der Armee gefährliche
schwere Arbeit im Kaukasus Hochgebirge verrichten mussten. Wie Sklaven wurden
sie misshandelt und bis zur Erschöpfung angetrieben, um das Letzte aus ihnen
herauszuholen. Trotz körperlichen Überanstrengungen war die Ernährung so
kärglich, dass alle hungerten. Bald
brachen Mangelkrankheiten aus. Täglich stieg die Zahl der Toten. Niemand sprach
ein Wort, ihr schweres Schicksal zu lindern. Es waren doch nur Deutsche, und es
war gut, wenn sie Zugrunde gehen würden. Tausende rafften der Tod hinweg.
In Kriegsjahre 1914-1918 drückten dunkle Wolken auf
alle deutschen Dörfer in Russland. Es schien, als werde die Sonne nie wieder
scheinen. Grau war alles geworden, das Land, das Leben, die Menschen. "
Hast du was von deinem Mann gehört ? Von deinem Sohn ?"- das waren die
ständigen Fragen, wenn sich die Menschen im Dorf begegneten. Mit dem Ausbruch
des Krieges blies der Wind ins Gesicht der Russlanddeutschen immer stärker.
Die
Nationalistische Russische Partei hatte die Oberhand im Parlament gewonnen und
ihnen waren die deutschen Siedlungen schon immer ein Dorn im Augen gewesen.
" Wir führen Kampf nicht nur gegen den Feind außerhalb, sondern auch
innerhalb unserer Grenzen",- hatte der russische Ministerpräsident
Goremykin von der Tribüne der Russlandduma herab getönt.
Jetzt war die Gelegenheit günstig, die
"Fremdstämmigen" in den deutschen Siedlungen des Zarenreiches zu
demütigen. Schon lang hatten die Russen darauf gewartet, den Deutschen ihren
schwer und ehrlich erworbenen Besitz zu rauben, so wie die ihnen über
Jahrzehnte vertraglich zugestandenen Selbstbestimmungsrechte Doch bisher hatten
man dafür noch keine gesetzliche Grundlage gefunden. Jetzt aber war die Zeit
zum Handeln gekommen. Die russische Zeitungen schrieben, dass die deutschen
Siedlungen von der deutschen Regierung mit Geld unterstützt würden und die
Deutschen zu Spionen ausgebildet und eingesetzt würden. Dabei wussten die
meisten Menschen in Deutschland kaum
etwas von unserer Existenz in Russland.
Die gesetzlichen Maßnahmen zur
"Verteidigung" gegen die inneren Feinde, die Deutschen, waren rasch
getroffen. Die deutsche Sprache wurde verboten, die deutschsprachige Presse
unterdrückt, die Schule russifiziert und
die Pastoren, deren deutsche Gesinnung bekannt war, auf langen Leidensweg nach
Nordsibirien verschickt. Jetzt ist allen klargeworden: "Wer in Russland
bleiben will, soll eben Russe worden". Damit niemand "Raub"
nennen konnte, was Raub war, und die Verfolgung und die Wut sich unter
gesetzlichem Schutz austoben durften.
Am 2. Februar 1915 wurde das Liquidationsgesetz
erstellt, nach dem 50 000 Wolhyniendeutschc nach Sibirien verschleppt wurden.
Nach einer Volkszählung lebten in Russland zu jener Zeit insgesamt 2.416.290
Deutsche.
Obwohl zu Beginn des 1.Weltkrieges das deutsche
Reich zum Feind des Zarenreiches erklärt worden war, dienten trotzdem etwa
300.000 Deutsche in der russischen Armee.
1916 kehrten viele Männer aus der Armee zurück in
ihr Heimatdorf Podsosnowo. So kam auch mein Großvater Adam Hagelgans zu seiner
Familie zurück . Im Jahre 1919 bricht in Russland der Bürgerkrieg aus. Er
dauerte 3 lange Jahre, er kostet 10
Millionen Opfer, und das Elend nahm zu, weil bald die rote, bald die weise
Armee und dann auch noch die Partisanen ins Dorf kamen. Sie alle waren Räuber,
nahmen die Kühe und Pferde bei den Bauern weg, durchsuchten das ganze Haus, und
alles, was ihnen gefiel, nahmen sie mit. Endlich hatten die Rote die Weise
Armee besiegt und im Altaigebiet wurde 1921
die Sowjetregierung gegründet. Was für eine Regierung das war, dafür ein
Beispiel aus dieser Zeit . Im Sommer 1921 kam ein Sonderkommando und nahm bei
einem Bauer das ganze Getreide weg. Mein Großvater mütterlicherseits Hans Jork
Brenning, der starke und mutige Mann, hat sich gegen die Räuber
gestellt. Daraufhin hat ein Rotes Sonderkommando ihn mit Gewalt verhaftet und im Gefängnis so
geschlagen, dass er 2 Tage später verstorben ist. Der Großvater war damals 42
Jahre alt und hatte 5 Kinder. Es ging auch
anderen Bauern nicht besser.
Die Lage in
der Landwirtschaft wurde immer schlechter, eine Hungersnot im Russland stand
vor der Tür. In den Jahren 1921-27 musste die Sowjetregierung eine neue
ökonomische Politik einführen. Danach ging es mit den Nahrungsmitteln besser,
die Bauer säten wieder Getreide und züchteten Vieh, Schweine und Geflügel. Aber
das dauerte nur bis 1928. Im 1928 begann die Kollektivierung, die Deportation
der enteigneten Mittelbauern und die Schließung der Kirche.
Gerade in
dieser Zeit wurde Adam Hagelgans , als Pfarrer de Dorfkirche, verhaftet und zu
3 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Er baute als Zwangsarbeiter im Hochnorden am
Belomorebaltijski Schiffahrtskanal.
Zu Hause
blieben kleine Kindern zurück.Die zwei ältesten Söhne Adam und Gottlieb waren
schon verheiratet, der ein wohnte nicht weit vom Vatershaus, der andern lernt
als Traktorführer im Nachbarsdorf Halbstadt. Die andere 4 Kinder waren zu Hause
bei ihrer Mutter , der Heinrich war 12, der Jakob 10, der Johannes 7 und der
Friedrich war 2 Jahre alt. Aber das war noch nicht so schlimm, weil sie in ihrem Haus und auf ihrem Bauerhof bleiben
konnten. Das Schlimmste kam in den Jahren nach 1930 .
Besonders
grausam waren für die Deutschen die Massenrepressionen der Jahre 1936-38. Die Anzahl der
Verhaftungen pro Dorf wurde von "oben" bestimmt. In diesen
"Fleischwolf" gerieten auch wir! In der Nacht vom 9. September 1936
kamen die Leute von der Sicherheitspolizei und verhafteten ohne jegliche
Begründung Vater Adam und Sohn Gottlieb Hagelgans - als "deutsche
Spione" Beide bekamen 2 Jahre Freiheitsstrafe und kamen ins Gefängnis.
Unter den hohem Mauern des Gefängnisses rannte immer wieder der 9-jährige
Friedrich, ein anderer Sohn des Adam, auf und ab, suchte, weinte und flehte,
man sollte die beiden doch freilassen, denn sie hatten ja keine Schuld. Oft
wurde er dafür von den Aufsehern verprügelt. Einmal in 6 Monaten durften die Gefangenen besucht werden.
1938 wurde den Angehörigen mitgeteilt, dass die beiden Gefangenen eine zusätzliche Gefängnisstrafe erhalten hätten. Die Ursache: sie hätten nicht aufgehört mit ihrer Tätigkeit der Faschistenpropaganda Beide wurden an einen unbekannten Ort verschickt ohne Erlaubnis eines Briefwechsels. Am 10 Oktober 1938 wurden beide zum Tod verurteilt und am 14.Oktober 1938 erschossen. Adam war 55 Jahre alt, Gottlieb 28 Jahre. Soweit Heinrich Hagelgans, Laudenbach
Dazu die
"Erinnerungen von Johannes Hagelgans" in Auszügen:
Ich bin1922
in Podsosnowo im Altai-Gebiet in einer
deutschen Familien geboren ..............
In der
Erinnerung an meine Kindheitsjahre ist geblieben, dass wir in der Familie
friedlich lebten, alles hatte seine Ordnung hatte. Mama war sehr lebhaft, unser
Vater war so groß wie Friedrich, sehr arbeitsam und gerecht.
Im Jahre
1927 wurde unser Vater zusammen mit seinem Schwager verhaftet, angeblich wegen
des Glaubens an Gott. Sie wurden zum Bau des Weise-Baltischer Kanals geschickt.
Ich bin mit meiner Mutter und mit meinen Brüdern so wie auch mit der Familie
Gottlieb zu Haus geblieben.
Im Jahre
1930 sollten alle Bauer sollten in die Kolchose eintreten, aber die Mutter
sagte:
ge
" Ich
warte bis unser Vater aus dem Gefängnis
kommt.", so wie viele Familien abwarteten, wie es weiter gehen
würde. Von der Regierung kam dann der Befehl, alle Bauer, die nicht Mitglied
der Kolchose sind, sind Feinde des sowjetischen Volkes und sollen zwangsweise
mit ihren Familien nach Nord-Sibirien umgesiedelt und ihr Besitz von den Kolchosen konfisziert
werden.. So wurde ich 8-jähriger Bursche mit unserer Familie in das Narymskij Gebiet umgesiedelt. Nur die
Familie meines ältester Bruder Adam blieb in Podsosnowo.
Bis zur
Stadt Slawgorod fuhr uns in seinem Schlitten Mamas Bruder, Konrad Brenning. In
Slawgorod mussten wir in Viehwaggons einsteigen. Es waren am Bahnhof sehr viele
und sehr verschiedenen Menschen versammelt, hauptsächlich die Enteigneten. So fuhren wir mit dem Zug bis zur Stadt Omsk,
ab dort per Fähre auf dem Fluss Irtysch bis zum Fluss Ob. Von dort ging es
Richtung Tomsk und dann weiter auf dem Nebenfluss Wassügan. In der Nähe der
kleinen Siedlung Korgosok wurden wir in der Taiga ausgesetzt, wir zählten
ca.1000 Menschen. Unsere Reise dauerte
insgesamt mehr als zwei Monate.
An ihrem
neuen "Wohnort" mussten sich die Familien erst einmal ein
"Haus" bauen. Dafür wurde ein Loch gegraben und mit gefällten Bäumen
bedeckt. Dann wurde die "Decke" mit Rasen und Erde abgedichtet. Der
"Fußboden" wurde einfach mit
Moos und Gras ausgelegt. Sie bauten auch einen Ofen und besorgten sich genug
Brennholz für den Winter. Sogar einige Wintervorräte, bestehend aus
verschiedenen Waldbeeren, schafften sie noch herbei. In den Behausungen gab es
Läuse und anderes Ungeziefer. Viele starben vor Hunger, einige wurden
wahnsinnig, es gab auch Morde und Selbstmorde. Täglich erhielten die Familien
pro Person 100 Gramm Mehl. Um den Hunger zu stillen, backten viele ihr Brot aus
dem Mehl, das sie mit geschroteter Birkenrinde oder getrockneten Gräsern
vermischten. Dadurch haben sich einige vergiftet Der Winter war sehr, sehr kalt. Alle
haben gefroren und waren krank.