Hagelgans Heinrichs Lebenslauf ( Kleinwallstadt,    2006)

 

Immer wieder stelle ich mir die Frage: "Warum soll ich das schreckliche Schicksal meiner Familie

beschreiben? Stellvertretend für alle die, die gleiches schweres Schicksal in Russland wie wir erlitten haben aber es nicht oder kaum bekannt ist, will ich es tun." Mich quält das Gefühl, dass auch die anderen

deutschen Familien genau so betroffen waren wie auch die meine. Aber ich kann und will dem Vergessen wehren und auf die innere Stimme hören: " Du sollst das alles beschreiben zum Gedächtnis meines Vaters und Großvater, meine Schwester Olga und Bruder Eduard und der vielen Opfer des Stalinistischen Regimes in Russland. Aber auch zur Mahnung, dass solches Schreckliche in Russland und anderswo nicht mehr geschehen möchte. Warum ich mit meiner Familie nach Deutschland übersiedelt bin? Weil ich meinen Kindern und Enkeln ersparen will, dass vielleicht wieder in Russland Schreckliches geschehen kann und

weil ich schon immer das Gefühl gehabt hatte: ich bin und bleibe ein Fremdling in diesem Land Russland. Alle diese Gedanken haben mir eine schwere Last von Herzen genommen und haben mir Kraft gegeben das zu beschreiben, was ich selbst in meiner Kindheit erlebt habe und was ich von meiner Mutter, meinem

Onkel Heinrich Nagelgans und unseren Dorfleuten in Podsosnowo gehört habe. Mit meiner Frau Sina sitze ich oft stundenlang und wir erinnern uns an unsere Vergangenheit. Ohne Sina konnte ich es nicht schaffen, weil ich in einem Sowjetischen Kinderheim groß geworden bin und darum nur russisch sprach. Die

deutsche Sprache hat mir meine Sina beigebracht. Bis heute bereue ich es, dass ich in seiner Zeit nicht auf sie gehört habe. Als wir noch jung waren, sagte sie oft zu mir: "Heinrich, lerne die deutsche Sprache, du brauchst sie noch." "Ach, Sina, zu was brauch' ich sie noch? Denn nach Deutschland ist für uns der Weg auf ewig verschlossen und so viel deutsch kann ich, dass ich mich mit unseren Dorfleute verständigen kann." Aber den wahren Grund wollte ich nicht sagen. Die Angst, irgendwo deutsch zu reden war in mir so groß und tief im Gedächtnis, das kann man mit die Worten nicht beschreiben.

Was ein sowjetisches Kinderheim in den schrecklichen Kriegsjahren für ein deutsches Kind bedeutet bedeutet hat, das weis nur unser lieber Gott, und der, der dort zu jener Zeit gelebt hat.. Ich vermute, dass nur eins von 10 Kindern überlebt hat.

Ich war 6 Jahre alt, als der 2.Weltkrieg mit der Sowjetunion begann. Mein Vater war schon längst tot und meine Mutter mit mir und meinem Bruder allein in Nowokusnezk, denn die Großmutter hatte mit ihren herangewachsenen Söhnen meine Mutter im Stich gelassen und war

nach Baidajewka umgesiedelt. Die Großmutter hatte vergessen, als sie im 1931 im Dorf Podsosnowo allein mit ihren kleinen Kindern war und nach Nordsibirien zwangsumsiedeln musste, dass mein Vater damals seine Mutter mit seinen 4 Brüdern nicht ohne Hilfe gelassen hatte sondern mit seiner Fau und seiner Tochter Olga mit in die Verbannung aus freien Stücken und um seine Mutter und seine Brüder zu retten und dabei unbewusst seine Frau Maria und seinen 3- jährige Tochter Olga geopfert.

Damals war Opa Adam im Gefängnis und das älteste Kind, Onkel Heinrich, war nur 13 Jahren alt. Und der jüngste, Onkel Friedrich, war 4 Jahre alt. Es steht die Frage an: Konnte meine Oma in der Wildnis der Taiga mit den 4 Kindern allein überleben? Die Antwort ist klar: "Nein' Es war im September als es schon oft geschneit hatte und schon sehr kalt war. Da musste dringend eine Erdhütte gebaut und die Ziegel für den Ofen vorbereitet, ein Ofen gebaut werden. Auch musste noch Brennholz für den langen Winter vorbereitet und Lebensmittel ffir die ganze Familie besorgt werden. Die Mutter hat erzählt, wie sie mit 4 Frauen die Himbeeren für den Winter gesammelt haben und plötzlich ein große Bär kam und sie um ihr Leben wegrennen mussten. Konnte das alles die Oma mit den Brüdern meines Vaters, der älteste Bruder war gerade mal 13 Jahre alt, schaffen? Nein! Nur mein Vater konnte die Familie retten. Er war damals 21 Jahre alt und hat in die Kolchose als Traktorfahrer gearbeitet. Er war auch ein guter Tischler. Und dann, 7 Jahren später, als mein Vater Gottlieb unschuldig ins Gefängnis kommt, stand meine Mutter mit 2 Kindern ganz allein in fremder Stadt und ohne Hilfe. Meine Schwester Olga ist bei der Umsiedlung nach Nowokusnezk verstorben. Das Schlimmste war, dass meine Mutter die russische Sprache nicht beherrschte.

In der Sowjetunion gab es kein Sozialamt. So musste die Mutter zur Arbeit gehen. Sie schuftete jeden Tag bis zu 1 0 Stunden auf der Baustelle. Ich, als 3 -jähriges Kind war ganz allein, ging in den Kindergarten und mein ältesten Bruder Eduard wurde allein im Haus eingesperrt. An einem Sommerabend, als ich auf dem

heimweg bin, wundere ich mich, dass auf der Straße viele junge Männer, begleitet von einem spielenden Blassorchester, marschieren. Plötzlich, ich weiß nicht wie, war ich von einem Gespann überfahren worden. Als ich die Augen wieder öffne, sehe ich die Ärztin und meine weinende Mutter.

 

 

Mein ganzer Kopf und Körper war verbunden, nur schmale Ritzen für Nase und Augen waren frei, ich konnte kaum atmen und hatte große Schmerzen Das ist meine erste Kindheitserinnerung. Aber ich habe keine Kindheit gehabt. Sie ist mir beim Kampf ums Überleben im grenzenlose Sibirien gestohlen worden. Nach 2 Monate war ich wieder relativ gesund.

1942 bin ich ins Kinderheim geraten, weil die Mutter zwangsweise in einem Militärwerk arbeiten musste. Seitdem hatte ich die Mutter bis zum Ende des Krieges nicht wieder sehen können. Zum Überleben bin ich mehrmals aus dem Kinderheim weggerannt, wo der Hunger aus allen Ecken heraus geschaut hatte.

Als ich eines Tages nach Hause gehe, sehe ich, dass die Tür und alle Fenster mit Brettern zugenagelt sind. Dann gehe ich zur russische Nachbarin Nüra. Die Tante Nüra fragt mich- " Andrüscha. ( von Andreas abgeleitet, die russische Form von Heinrich), wann hast du zum letzten Mal gegessen?" Ohne Worte stehe ich voller Angst davor, dass sie mich verjagt. Die Tränen rollen mir aus den Augen." Ja mein Kind ich verstehe dich, aber komm doch herein und ich gebe dir, was unser lieber Gott uns zu essen gegeben hat." Danach führte sie mich zu einem älteren blinden russischen Ehepaar.Sie hieß Tante Dusja, und er Peter. Die Tante Nüra sagte zum Peter: " Peter, du weißt doch, dass Andrüscha jetzt keine Eltern mehr hat und er könnte eure Augen sein. Vielleicht nimmst du ihn bis der verdammte Krieg beendet ist, dann kommt seine Mutter zurück". So wohnte ich bei den blinden Leuten und arbeitete, was sie mir sagten. Im Winter fuhren wir mit der Eisenbahn in die großen Städte nach Süd-Kasachstan oder Usbekistan, wo es warm ist und man  Lebensmittel erwerben konnte. Im Zug gehen wir von einem Waggon zum anderen, Tante Dusja singt

schöne Lieder, Onkel Peter begleitet sie auf die Ziehharmonika, und ich gehe voran mit ausgestreckter Hand, in der ich eine russische Kappe halte, zu betteln. Die Leute geben uns kleines Geld oder ein Stück Brot oder Gemüse oder was anderes Essbares Wir dankten sehr unserm lieben Gott, dass die Leute so barmherzig waren. Der Bahnhof war unser Schlafzimmer. Wenn der Winter zu Ende ging, fuhren wir zurück nach Hause. Einmal, in den Stadt Dgambul hat uns die Polizei festgenommen. Ein Polizist fragte mich, wie alt ich sei und warum ich nicht in die Schule ginge. Als er erfuhr, wer ich bin, verhaftete er mich und schickte mich zurück nach Nowokusnezk ins Kinderheim. Dann ging dasselbe Lied wieder von vorne an.

Im Sommer war es leichter zu überleben, weil im Urwald der Taiga immer etwas zu essen zu finden war. Ich habe alle Kräuter und Wurzel gekannt, was essbar war und was nicht

So langsam ging der Krieg zu Ende. Endlich, im Jahre 1946 kam meine Mutter zurück, sie wurde aus der

Arbeitsarmee entlassen, aber sie war nicht mehr allein. Sie hat einen Freund gefunden. Er war in Deutschland als Kriegsgefangener interniert und deswegen als" Verräter" verurteilt und zu 10 Jahre Zwangsarbeit verurteilt und nach Sibirien verbannt worden. Sie hatten zusammen auch ein kleines Kind, meinen Halbbruder Boris. Zu Hause war noch  mein Bruder Eduard, der schwer krank war und den ganzen Tag im Bett lag. Die Mutter hat ihn versorgt ,bis er am 2 Dezember 1947 verstorben ist. Ich war sehr traurig. Er wurde am 5 Dezember beerdigt. Diesen Tag vergesse ich nie. Es war Tauwetter, was in Sibirien nur einmal in 100 Jahren passiert. Auf den Weg war es eisglatt und ein alter Gaul zog langsam den Schlitten mit dem Sarg meines Bruders. Der Stiefvater saß auf dem Sarg und lenkte den Gaul. Hinterher gingen nur ich und die Mutter. So blieb ich von meinen Geschwistern allein zurück. Damals ich war 11 Jahre alt.

Im Laufe dieser Zeit ist mir meine Mutter irgendwie fremd geworden. Sie bekam im Jahre 1949 noch ein Kind. Sie kümmerte sich um die zwei kleinen Kinder und ich wurde auf den letzten Platz abgeschoben. Mein tägliches Brot musste ich selbst verdienen. Ich ging zu Russen und arbeitete bei ihnen nur fürs Essen und trotzdem war ich immer hungrig. Als ich an einem Abend nach Hause kam und sah, dass sie Pfannekuchen essen, habe ich die Mutter gebeten: " Mama, gib auch mir wenigstens einen Kuchen" , erhob sich der Stiefvater und schrie: "Hast du nicht genug dort gefressen, wo du arbeitest?" Ich war ja noch ein Kind. Als die Mutter mich sah, wie ich hinter dem Stall weinte, brachte sie mir heimlich etwas zu essen.

Wegen sehr schlechter Nahrung erkrankte ich an Nachtblindheit. Bei noch hellem Tag habe ich schon bevor die Sonne unterging nichts mehr gesehen.

Wegen dieser Krankheit bekam ich noch größere Angst und bin im Krankenhaus gelandet. Ich möchte nicht schreiben, wie viel ich dort geschlagen wurde, denn daran kann man sich gewöhnen, aber an den Hunger nicht, der kann Menschen wahnsinnig machen.

Endlich im Jahr 1951 absolvierte ich die 7 Klasse der Mittelschule, im Vergleich mit Deutschland ist sie die Hauptschule. Wegen sehr guter Zeugnisse wurde ich in die Berufschule überführt. Ich erlernte den Beruf des Betriebselektrikers. Das war eine staatliche Bergwerksschule, wo die Kinder völlig auf Staatskosten lernten. Wir bekamen sogar Uniform und gutes Essen. Alles war wie beim Militär, wir schliefen in der Kaserne und durften nicht ohne Erlaubnis nach Hause gehen. In diesem Jahr bin ich groß und stark gewachsen. Wir lernten 6 Stunden pro Tag.und hatten noch 2 Stunden Sportunterricht.  Ich war sehr zufrieden, aber ganz selten ging ich nach Hause. Einmal an einem Sonntag überfiel mich eine innere Unruhe und anstatt wie

sonst meine Gewohnheit in der Staatlichen Bibliothek Bücher und Zeitschriften zu lesen -das war für mich eine ganz neue Welt -ließ ich mir die Erlaubnis geben nach Hause zu gehen.

Noch von draußen hörte ich das Geschrei meiner Mutter. Ich eilte mich, ging in das Haus hinein und sah, wie der Freund mit einer Hand die Mutter an den Haaren hielt und mit anderen sie kräftig mit der Faust ins Gesicht schlug. Er war so beschäftigt, dass er mich nicht sah. Die Mutter kniete und hielt sich an dem eisernen Bett fest. Ich war wütend geworden, sah die Ofenkrücke, nahm sie in die Hand und schlug ihn von hinten auf seinen haarlosen Schädel. Er fiel wie ein Sack auf den Boden und war ohnmächtig geworden. Ich weiß nicht, woher ich den Mut gefunden hatte, so etwas zu tun. Ich wartete bis er zu sich kam und sagte zu ihm: Das Haus hat mein Vater gebaut und er soll verschwinden. Und wenn ich nächstes Mal komme und er sei noch hier, dann wäre er ein toter Mann. Ich habe nicht gehört, was die Mutter mir gesagt hat und was der Freund gedacht hat, aber das nächste Mal als ich wiederkommen war, war er schon längst nicht mehr da.

Erst im September kam ich wieder heim, die Mutter war traurig und schrie " Was hast du gemacht? Du, nur du bist schuld, dass ich wieder mit 2 Kindern ganz allein stehe.". Dann sagte ich." Mutter, in 3 Monaten absolviere ich die Berufschule und verdiene so viel Geld, dass es uns reicht zu leben und du bist meine Mutter und ich kann nicht sehen wenn ein fremder Mann dich schlägt ". Schweigend hat die Mutter mir in die Augen geschaut und mir dann gesagt, dass ich genauso bin wie mein Vater. Und sie ging ins Schlafzimmer, machte die Kiste auf und gab mir einen dunkelblauen Anzug und sagte dabei: " Jetzt sehe, du bist ein erwachsenener Mann geworden, nur für dich habe ich den Anzug deines Vaters aufbewahrt, du kannst  ihn haben." Dabei weinte sie. " Mutter - sage ich- bitte nicht weinen, die schrecklichen Jahre für uns sind vorbei". Meine Worte hat wahrscheinlich unser lieber Gott gehört und sie auch erhört.

Ein halbes Jahr später, am 5 März 1953, arbeitete ich schon auf einer Baustelle, höre ich plötzlich die Dampfpfeifen vieler Lokomotiven. Was war wieder passiert, ein neuer Krieg? "Nein, der Genosse Stalin ist verstorben", sagte der Bauleiter. Obwohl ich damals noch jung und unpolitisch war, sagte mir das Gefühl , dass unser ganzes Unglück von diesem schrecklichen Menschen kam.

Mit uns auf der Baustelle hatten auch viele deutsche Kriegsgefangenen gearbeitet, sie wussten nicht, dass ich ein Deutscher bin und ihre Sprache ganz gut verstand Ich habe gehört, dass sie miteinander redeten und sie freuten sich vielleicht bald nach Hause fahren zu dürfen.. Uns war strengstens verboten, mit den Gefangenen Kontakt aufzunehmen. Nur in den letzten Monaten ihrer Gefangenschaft hatte Mutter mit ihnen frei geredet. Sie wunderten sich, dass sie in Sibirien, am Ende der Welt am Arsch, Deutschen begegneten. Die letzten Monate konnten sie sich ohne bewaffnete Soldaten frei bewegen.Die Mutter teilte mit ihnen Kartoffeln und Zwiebeln. Sonntags kamen 2 Soldaten zu uns nach Hause und halfen der Mutter im Garten, und Mutter kochte etwas zum Essen.

Im Sommer 1953 endlich durften die Gefangenen nach Hause fahren, aber wir Russlanddeutsche, wegen

des ersten und zweiten Krieg gegen Russland, mussten unsere Schale, als Feinde des russisches Volkes, bis zum bitteren Ende austrinken.

Ich schätze, dass jeder zweite der gefangenen Soldaten, vielleicht auch mehr, an Hunger oder an sibirischer Kälte gestorben sind

Eine Erinnerung aus dem Jahr 1946 an die Kriegsgefangenen will ich noch schildern. Es war März, April, ein sonniger Tag, als ich von der Schule nach Hause ging und auf der Straße eine riesige Marschkolonne in mir unbekannten Uniformen sah.

Gesichert wurde diese Kolonne von sowjetischen, schwer bewaffneten Soldaten mit Hunden auf  beiden Seiten Leise redeten die Gefangene miteinander und ich hörte und verstand fast alle ihre Worte. So hat doch bei uns in der Familie meine Mutter, Oma und Tante Maria geredet, dachte ich. Aufmerksam betrachtete ich die traurigen Gesichter und endlich begriff ich,  dass sie deutsche gefangene Soldaten sind.   Wie

Kamen sie so weit nach Sibirien?  Fragte ich mich als damals 11 Jahre alter Junge.  Bis heute stehen sie mir vor Augen. Mein Herz klopfte damals wie verrückt und denke: So ist auch irgendwo  mein Vater in die Straflager gebracht worden. In Russland war doch jedem bekannt, dass die sogenannte Arbeitsarmee nur für die Russlanddeutschen aufgestellt worden war.-  Hinter Stacheldraht haben sie arbeiten müssen und in Baracken geschlafen. Wenn unter ihnen 30% überlebt haben, sind das viele Es war moderne Sklaverei. Wie viele wirklich dort ermordet wurden verhungert und erfroren sind, weiß nur unser lieber Gott. Damals habe ich nicht gewusst, dass mein

Vater und Opa Adam Hagelgans schon lang als deutsch Spione, erschossen worden waren. Wenn ich noch als kleines Kind die Mutter fragte, wo ist  mein Vater, hat sie ängstlich geantwortet : Stell mir nie wieder solche Frage, sonst kommst du auch ins Gefängnis.

In Winter 1954 wurde sie schwer krank. Sie hat schon gleich nach dem Krieg an Herzschmerzen gelitten Nach Herzanfällen und gründlichen Untersuchungen  bekam sie vom  ärztlichen Ausschuss einen Krankenausweis. Durch dieses Ausweis bekam sie auch von der Kommandantur die Erlaubnis die Stadt Nowokusnezk zu verlassen und in ihr Dorf Podsosnowo zurückzukehren.  Nach 23 Jahren Verbannungszeit durfte die Mutter endlich in ihre Heimat fahren. Als wir im Mai 1954 nach Podsosnowo kamen, war für uns die Überraschung groß.  Alle Bewohner des Dorfes redeten nur Deutsch. Es gab doch das grausame Verbot, die Deutsche Sprache in der Öffentlichkeit zu benutzen. Aber die meisten Bewohner konnten  nur die deutsche Sprache Weil ich nicht richtig deutsch sprach, hat mich die Jugend oft verprügelt. Ich war ein Fremdling unter meinem eigenen Volk. Es hat lange Monate gedauert bis die Jugend mich so akzeptierte,  wie ich war.

Anfang der 60ger  Jahre wurde die russische Politik den  Deutschen gegenüber geändert. Wir durften wieder in den Hochschulen studieren, wir durften wieder frei in die Städte fahren, die Kommandantur für die deutsche Bevölkerung war aufgehoben.. Aber das alles war zu spät. Die seelischen Wunden und Schmerzen waren zu groß, dass sie  geheilt werden konnten.

Wenn auch Podsosnowo sich in den 70er Jahren gut entwickelte und auch die Russlanddeutschen unbedrängt und in Freiheit leben konnten, verließen sehr viele Deutsche Podsosnowo und zogen nach Deutschland, allein aus Podsosnowo mehr als 2000 Menschen.

Nach meiner Heirat mit Sina Haas studierten wir an der Hochschule für Industrie. 1966 erhielt ich mein Diplom als Elektro-Ingenieur. Meine Frau arbeitete in einem Zentrallabor als Chemielaborantin. Wir zogen um nach Pawlodar und erlebten dort die bis dahin 10 glücklichsten Jahre unseres Lebens

 

Eine Episode noch aus Deutschland zu unserer deutschen Sprache im oberhessischen Dialekt: Ein Beamter im Landratsamt in Aschaffenburg fragte meine Frau: "Können Sie mir erklären, wenn ich mit Ihren Landsleuten aus Podsosnowo rede, sprechen sie gut Deutsch und das genau im Dialekt meiner Großmutter! Aber  mit den Deutschen aus Kasachstan kann ich nicht deutsch reden.? Die Antwort ist klar. Viele Deutsche aus Podsosnowo stammen aus dem Wolgagebiet und kamen ursprünglich aus Oberhessen nach dort und haben ihren Heimatdialekt erhalten und wieder mit nach Deutschland gebracht. Viele Deutsche aber aus Kasachstan stammen ursprünglich aus vielen Gegenden Deutschlands aber nicht aus Hessen. So sprachen und sprechen sie einen anderen als den oberhessischen Dialekt, der natürlich für einen Beamten aus Aschaffenburg unverständlich ist.

 

Ende der kurzen Biographie von Heinrich Hagelgans