Allgemeine Geschichte der Aussiedler   aus  "Aussiedler Aktuell " vom info-Dienst aus der Jugendsozialarbeit des Bundes

Zur Herkunft - geschichtlicher Überblick

Die Aussiedler, die seit der Nachkriegszeit nach Deutschland kommen sind die Nachfahren von Siedlern, die vor mehreren hundert Jahren aus dem mitteleuropäischen Raum nach Ost- und Südosteuropa ausgewandert sind. Die Wanderungs- und Siedlungsbewegung war grundsätzlich unpolitisch und von keinem ethnischen Sendungsbewustsein geprägt. Im Zeitalter des Nationalismus und Faschismus wurden die Einwanderer für nationalpolitische Territorialansprüche missbraucht und waren geschichtlich häufig Spielball politischer Machtinteressen. Seit der Auswanderung im Laufe der Jahrhunderte haben sich bikulturelle Verbindungen mit den Nachbarvölkern bei gleichzeitiger Konservierung alter Traditionen und Dialektformen ergeben, die heute Aussiedler zu Fremden machen. Bis zum Jahre 1990 kamen die meisten Zuwanderer aus Polen und Rumänien. Bedingt durch die Politische Entwicklung kommen heute über 90% der Aussiedler aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Aus diesem Grund wird nachfolgend einschränkt ein historischer Überblick über die Gruppe der Russlanddeutschen gegeben.

Auswanderung der Deutschen nach Russland

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erging der Aufruf der russischen Zarin Katharina II. an Ausländer zur Einwanderung nach RussJand, um landwirtschaftliche Siedlungen zu gründen. In ihrem Einwanderungsmanifest machte sie Zusagen zu Sonderrechten u.a. Steuerfreiheit und Befreiung vom Militärdienst sowie Selbstverwaltung und staatliche Hilfen. Die Einwanderer sollten meist gewaltsam gewonnene Gebiete urbar machen und Landesgrenzen gegen Ansprüche von Außen verteidigen. Armut, Hungersnöte, politische und religiöse Unterdrückungen waren die wichtigsten Ausreisegründe der aus deutschen Fürstentümern wie z. B.. der Pfalz, Rheinland, Hessen und Baden stammenden Siedler.

Die Hauptsiedlungsgebiete waren das Schwarzmeergebiet (die heutige Ukraine); in der Folgezeit wurden Deutsche in Wohlhynien (westl. vom Kiew), Bessarabien (heute Moldawien) und im Kaukasus angesiedelt. Innerhalb von 100 Jahren haben die Einwanderer 3000 Tochtersiedlungen gegründet, im europäischen Teil Russlands, im Kaukasus, Westsibirien, Kasachstan und Mittelasien.

Eine Volkszählung im Jahr 1897 ergab eine Zahl von 1,8 Millionen Deutschen. 22% lebten an der Wolga,

21 % im Schwarzmeergebiet, weniger als 1 % in Miftelasien und Sibirien und  56% im europäischen Rußland. Über ihre Religionszugehörigkeit wurde ermittelt: 76% waren evangelisch-lutherisch, 13% katholisch, jeweils 4% waren Mennoniten und 3% gehörten anderen Glaubensgemeinschaften an. 3/4 der Siedler lebten von der Landwirtschaft, sie mußten unter schwierigsten Bedingungen öde Landstriche urbar machen. Die einzelnen Siedlungsgbiete hatten untereinander nur geringe Kontakte, dadurch wurden Dialekte, Traditionen und kulturelle Werte über lange Zeit konserviert.

Nationalismus und der Erste Weltkrieg

Im Zeitalter des russischen Nationalismus am Ende des 19. Jahrhunderts wurden den Siedlern unterstellt, Erfüllungsgehilfe des Deutschen Reichs zu sein, die Russland-Deutschen lehnten jedoch deutsche Vereinnahmungsversuche ab.

Es wurden ihnen einige Privilegien genommen: z.B. Aufhebung der Selbstverwaltung, Einführung von Russisch als Amts- und Schulsprache, Verpflichtung zum Militärdienst.

Mit Beginn des 1. Weltkrieges wurden die Repressalien gegen die Russland-Deutschen verstärkt. Der öffentliche Gebrauch der deutschen Sprache wurde bestraft, deutsche Schulen geschlossen und Zeitungen verboten. 150.000 Wolhyniendeutsche wurden deportiert, obwohl die Russland-Deutschen die Loyalität zu Russland erklärten.

 

 

Russische Revolution und die Gründung der autonomen sozialistischen Sowjetrepublik der Wolgadeutschen

 

Die weitere Deportation von Wolga-und Schwarzmeerdeutschen wurde durch die Oktoberrevolution 1917

verhindert. Sie brachte die Liberalisierung für nicht russische Nationalisten in der Union der sozialistischen Sowjetrepubliken. Die Wolgadeutschen erhielten 1918 die Gebietsautonomie ("Arbeiterkommune"). Im Jahr 1924 wurde die"Autonome Sozialistische Sowjetrepublik der Wolgadeutschen" gegründet. Deutsch wurde Amts- und Unterichtssprache.

Viele Russland-Deutsche sympathisierten während der Zeit der Kommunisten, es gab laut Volkszählung 1,2 Millionen.

 

Die Politik Stalins

 

Im Jahr 1928 begann unter Stalin die Kollektivierung der Landwirtschaft, die Bauernenteignung und die

Schließung der Kirchen.

Die Höhepunkt mehrerer Verfolgungswellen gegen Intellektuelle, Geistliche, Kulaken", "Nationalisten", "Politische Abweichler" waren die Jahre 1934-1938.

Ab 1938 wurde in allen deutschen Schulen Russisch und Ukrainisch unterrichtet. Zeitgleich wurden alle deutschen Rajons außerhalb der Wolgarepublik aufgelöst.

Viele ethnische Minderheiten, darunter auch russland-deutsche Bauern waren von Enteignung der Verfolgung betroffen.

 

Zweiter Weltkrieg

 

Am 22.6.1941 begann der deutsch-sowjetische Krieg. Die Russlanddeutschen wurden insgesamt der

Unterstützung und Zusammenarbeit mit der Faschisten beschuldigt und zum inneren Feind erklärt. Im August 1941 begann die Verfolgung und massenhafte Deportation der Wolgadeutschen und der im Europäischen Teilen lebenden Deutschen nach Sibirien und Mittelasien.

Sie lebten dort wie Strafgefangene in Sondersiedlungen und mussten dort unter Geheimdienstbewachung in der sog. Trudarmee", einer Arbeitsarmee, unter unmenschlichen Bedingungen in der Wäldern Sibiriens, in den Bergwerken und Baukolonnen Zwangsarbeit leisten. Auch Kinder und Frauen wurden zu den schwersten Arbeiten herangezogen. Jede deutsche Familie war von den Ereignissen unmittelbar berührt, viele verhungerten und überlebten die Strapazen nicht.

Der zweite Weltkrieg und die Zeit der Verbannung, die erst 1955 endete, ist das traumatische Erlebnis auch heute noch und für die ältere Generation ein ganz wichtiges Ausreisemotiv aufgrund der Befürchtung, Ähnliches könnte sich wiederholen.

Während des Krieges wurden ca. 1 Million Russlanddeutsche und 1 Million andere ethnische Minderheiten deportiert und zu Arbeitslager gebracht Koreaner, Kalmützken, Balkaren, Tschetschenen, Karatschairer, lnguschen, Krimtataren,hatten besonderes unter Stalins Terror zu lejden.

Die russlanddeutschen Bewohner erhielten von den Deutschen Besatzern Wohnungen und Besitztümer ermordeter Juden, ebenso geraubte Viehherden und landwirtschaftliche Maschinen. Auf dieser Weise wurden sie unausweichlich auch in die Kriegsverbrechen und den Holocaust der Deutschen mit hineingezogen, andererseits kämpften aber auch viele Russlanddeutsche als Sowjetbürger gegen Hitler.

Im Winter 1942/ 43 wurden Russlanddeutsche von den deutschen Truppen im Warthegau, in Westpolen, in Nieder- und Oberschlesien angesiedelt, um die Gebiete zu germanisieren. Die meisten wurden dann auch nach Sibirien und Mittelasien verschleppt. 1945 konnten 200.000 Russlanddeutsche z. B. nicht mehr rechtzeitig aus dem Warthegau fliehen und wurden in sibirische Arbeitslager gebracht.

Etwa 150.000 Sowjetdeutsche flüchteten in die sowjetischen Besatzungszonen Deutschlands. Jeder Zweite wurde aufgegriffen und in sibirische Arbeitslager gebracht.

 

Die Nachkriegsentwicklung

 

Der Krieg hatte der Sowjetunion 20 Millionen Menschenleben gekostet. Alles, was an Deutschland oder die Deutsche

Erinnerte, war angesichts dieses Leidens verhasst. Die Russlanddeutschen mussten für Hitlers Krieg lange büßen. 1948 beschloss der oberste Sowjet, die Verbannung auf "ewige Zeiten" festzuschreiben.Das Verlassen der Sondersiedlungen ohne Genehmigung wurde mit Zuchthaus bis zu 20 Jahren bestraft. Insgesamt 17 Jahre lang mussten sie unter "Kommandatur" mit täglicher Meldepflicht und unter schwerer Bewachung und starker Einschränkung ihrer Freiheiten leben und schwerste Arbeiten verrichten.

                                                                                                                                       

Deutsch, die Sprache der Angreifer, durfte weder Zuhause noch in der Öffentlichkeit gesprochen werden. Es gab keinen Deutsch Unterricht in der Schule, Lehrer durften nicht unterrichten. Um nicht aufzufallen, wurde in den Familien russisch gesprochen. So verlor die deutsche Sprache die Funktion der Muttersprache für die nachfolgende Generationen.

Auch das russland-deutsche kulturelle, politische und religiöse Leben wurde aus der Öffentlichkeit verbannt und konnte nur heimlich in der Familie, unter großen Gefahren, gepflegt werden.

 

Die Rehabilitierung

 

Nach einem Besuch des Bundeskanzlers Adenauer im Jahre 1955 in Moskau wurden die Deutschen per Dekret aus den Arbeitslagern und Sondersiedlungen entlassen. Sie durften aber nicht in ihre Heimatregionen zurückkehren und es gab keine Rückgabe des konfiszierten Vermögens.

Die Auflösung der Sondersiedlungen ermöglichte es den Russlanddeutschen nach und nach, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. In den Schulen gab es wieder muttersprachlichen Unterricht. Mangels qualifizierter Deutsch-Lehrer und nach wie vor vorhandener Ablehnung den Deutschen gegenüber,  verzichteten sie auf eine mutterschprachjich Erziehung, um die beruflichen Chancen der Kinder zu verbessern und sie nicht in eine gesellschaftliche Isolation zu drängen.

 

Das wichtigste Ziel der Russlanddeutschen war, die Familien wieder zu vereinigen, die in dieser Zeit auseinandergerissen wurden. Sie ließen sich hauptsächlich in der westsibirischen Altai-Region nieder, z.B. in Omsk, Nowosibirsk und den mittelasistischen Gebieten, u.a. in Kasachstan.

In den neuen Siedlungsgebieten lebten Russlanddeutsche zusammen, die unterschiedliche Dialekte sprachen. Dies ist ein weiterer Grund, dass überwiegend russisch gesprochen wurde und die deutsche Sprache ihre Funktion verlor.

Bis zu Beginn der 60iger Jahre gingen viele Russlanddeutsche wegen der guten Arbeitsmöglichkeiten nach Kasachstan und Mittelasien. Ein weiterer Grund waren die starken negativen Einstellungen der Russen den Deutschen gegenüber. Sie wurden als Faschisten bezeichnet und hatten berufliche Nachteile.

 

Die Möglichkeiten in kultureller und religiöser Hinsicht verbesserten sich. Evangelisch-Lutheranische und katholische Gemeinden wurden offiziell zugelassen und Deutsche Kulturvereine gegründet. 1957 erschien die erste überregionale Zeitung nach 1941. Seit 1955 wird die "Arbeit" -heute "Zeitung für dich" im Altai herausgegeben, 1966 die"Freundschaft".

 

Ende